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4/8Bitte Platznehmen!

Wir sitzen zu viel. Das ist nicht gut für unseren Körper. Fast 9,8 Millionen neue Sitzmöbel wurden 2022 in Deutschland hergestellt. Sitzen ist mehr als eine praktische Angelegenheit. Ob und wie jemand sitzt ist eine Frage von kulturellen Gegebenheiten, sozialen Beziehungen oder Glaubensvorstellungen. In der Vorgeschichte durften nur Könige und Gottheiten auf gepolsterten Lehnstühlen sitzen. Das einfache Volk musste dagegen auf dem Boden, auf mit Matten ausgelegten Podesten oder einfachen Holzschemeln Platz nehmen.

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Das Bild zeigt eine stark stilisierte sitzende Figur auf einem runden Sockel. Die Hüfte ist ausladend und die schmalen Beine durch einen geraden Strich getrennt. Die Figur hat beide Arme in einem weiten Kreis auf dem Schoß geschlossen. Der Kopf ist mit einer markanten Nase und kleinen Punkten als Mund nur angedeutet. Die Figur ist aus dunklem Ton und mit Linien und einfachen Ornamenten verziert.
Foto: Naturhistorisches Museum Wien

Herkunft: Pazardžik, Bulgarien
Datierung: um 4500 v. Chr., neolithisch
Leihgeber: Naturhistorisches Museum Wien 

Knapp über dem Boden thronend

Bevor man einen Stuhl besitzt, sitzt man auf dem Boden. Skelette aus der Jungsteinzeit zeigen sogar Knochenverformungen, die man durch häufiges Hocken erklären kann und die deshalb „Hockerfacetten“ heißen. Wer nicht auf dem Boden sitzen oder hocken muss, hat es also besser; schon sehr schlichte Sitzmöbel erheben ihre „Besitzer“ bequem über den Rest.
Das Sitzidol aus Pazardžik stellt eine Frau dar, die auf einem runden Schemel thront und ihre Hände im Schoss hält. Der Körper ist mit Ritzlinien verziert, die als Tätowierungen gedeutet werden. Möglicherweise handelt es sich um die Darstellung einer Fruchtbarkeitsgöttin.
 

Wann ist ein Thron ein Thron?

Noch bei den Römern kann selbst ein Klapphocker ein Würdezeichen sein. Ursprünglich auf dem Wagen (lat. currus) aufgestellt, später von Sklaven durch die Stadt getragen, steht die sella curulis für die Amtsmacht der höheren („kurulischen“) Magistrate. Oft luxuriös verziert, sollen die Hocker unbequem genug sein, den Sitzenden zu zügigem Amtsgeschäft zu ermuntern und zu erinnern, dass ihm staatliche Macht nur auf Zeit übertragen ist.
Demgegenüber ist nicht klar, ob der sogenannte „Thron aus der Marsch“ seinem Besitzer besondere Autorität verlieh. Bemerkenswert ist er allemal: Nur selten haben wir Einblick in die gehobene Ausstattung germanischer Wohnstallhäuser – bei der Fallward bietet diesen statt der Siedlung ausgerechnet das Gräberfeld. Dort haben sich Möbel im Feuchtboden hervorragend erhalten. Neben Hockern, Holzkästchen und flachen fünfbeinigen Tischen sticht der Prunksessel besonders hervor. Er ist als Klotzstuhl gefertigt, also im Ganzen aus dem Stamm eines Baumes herausgearbeitet. Aufwändig geschnitzte Flächen wie die Kerbschnittzier der Rückenlehne sind von dunklen Farbstreifen umrandet. Die durch eine Lochreihe zu erahnende Sitzfläche hat sich leider nicht erhalten, dafür aber eine ähnlich prachtvolle Fußbank als Begleiter. Das zumindest scheint eines Thrones würdig.

Das Bild zeigt eine Gruppe von Objekten, bestehend aus einem großen runden Sitzmöbel mit halbrunder Lehne, einer breiten, flachen Holzfußbank davor und einem niedrigen Beistelltisch links daneben. Alles ist aus hellem Holz gefertigt und reich verziert mit geometrischen Figuren. Der große Stuhl ist zusätzlich mit schwarzer Farbe bemalt.
Die Möbel von der Fallward zeigen wir als Nachbildungen.

Herkunft: Fallward bei Wremen, Niedersachsen (Original)
Datierung: 1. Hälfte 5.Jh.n.Chr. (Original)
Leihgeber: Museum Burg Bederkesa
Fotos: R. Kiepe, NIhK Wilhelmshaven

Foto: LEIZA, R. Müller

Herkunft: Simontornya, Ungarn
Datierung: 1.–4. Jh. n. Chr. (Original)
Leihgeber: Leibniz-Zentrum für Archäologie, Mainz

„Gleich nach dem Schlaf, den sie [die Germanen] meist bis in den Tag hinein ausdehnen, waschen sie sich gewöhnlich warm, da bei ihnen die meiste Zeit über Winter herrscht. Nach dem Waschen nehmen sie Speise zu sich. Jeder hat seinen besonderen Sitz und seinen eigenen Tisch.“
(Tacitus, Germania 22,1)

 

In geselliger Runde

Niemand möchte allein sitzen. Zum gemeinsamen Essen und Trinken an den Tisch zu kommen, ist Ausdruck zwischenmenschlicher Verbundenheit und Gastfreundschaft – und schon immer auch Anlass für schöngeistige Diskussionen, Lesungen oder musikalische Darbietungen.
Marmor-Figuren in Gestalt stehender Frauen wurden im 3. Jahrtausend v. Chr. auf der griechischen Inselgruppe der Kykladen zu Hunderten gefertigt. Männliche Sitzfiguren sind dagegen eine Seltenheit, ob sie nun den Becher heben oder die Saiten der Harfe zupfen. Der geschlossene Rahmen der Dreiecksharfe mit auf dem Oberschenkel ruhendem Resonanzkörper stellt wohl eine klangvolle und fortschrittliche Instrumentenform dar, die aus dem Nahen Osten stammt. Statt am Rande eines orientalischen Banketts erscheinen kykladische Harfenisten aber als würdige Sitzfiguren – manchmal sogar auf einem Lehnstuhl anstelle des Hockers.
 

Das Bild zeigt eine Figur aus hellgelbem Stein, die auf einem vierbeinigen Hocker sitzt. Sie hat ein nicht näher bestimmbares Arbeitsgerät auf dem Schoß und hält es fest. Sie ist sehr stilisiert dargestellt, hat beispielsweise weder Augen noch Ohren oder Haare.

Herkunft: Santorin, Griechenland
Datierung: 2700 -2300 v. Chr., frühkykladisch II
Leihgeber: Badisches Landesmuseum, Karlsruhe

Das Bild zeigt ein schwarz-weiß-Bild von einer Figur aus Stein. Sie ist stark stilisiert und auf einem kleinen Hocker sitzend abgebildet. In einer Hand hält sie eine Art Tasse nach oben. Der andere Arm ruht auf dem Bauch.
Foto: Abguss-Sammlung Antiker Plastik Berlin

Anders als der seltene originale Harfenist ist sein Begleiter ein Gipsabguss.
Herkunft: Griechenland (Original)
Datierung: 2.700 -2.300 v. Chr., frühkykladisch II (Original)
Leihgeber: Freie Universität Berlin, Abguss-Sammlung Antiker Plastik

So sitzt Sachsen

Drei schlichte Stühle erzählen Kulturgeschichte: Aus einer Abfallgrube in Zwickau stammt der älteste (erhaltene) Stuhl Sachsens. Dass die einfache hohe Lehne überraschend modern wirkt, darf nicht täuschen – in der bürgerlichen Wohnkultur des Hochmittelalters ist dieser Stuhl ein exklusives Möbel.
Zur „Demokratisierung“ des Sitzens trägt vor allem die maschinelle Massenproduktion bei. 1859 entwirft Michael Thonet in Wien mit dem ersten Bugholzstuhl das erfolgreichste Möbel des 19. Jahrhunderts. Findige Stuhlbauer aus Rabenau übernehmen Design und Produktionsweise und führen den Stuhl im Katalog der Sächsischen Holzindustriegesellschaft Rabenau als Modell Nr. 14 – wie das berühmte Vorbild Nr. 14 im Thonet-Katalog.
Und auch Sozialisten wollen sitzen: Bevor Walter Ulbricht als Politiker Karriere macht, absolviert er eine Lehre als Möbeltischler. Mit eigener Hand fertigt er die Küchenstühle für die gemeinsame Wohnung mit seiner ersten Ehefrau Martha – oder dient diese Geschichte nur dazu, im Arbeiter- und Bauernstaat seine einfache Herkunft zu bewerben?

Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, V/559/2003
 Das Bild zeigt einen Holzstuhl mit schmalen, runden Beinen. Die Lehne führt diese schmalen Formen in zwei übereinanderliegenden Bögen fort. Die Sitzfläche ist rund und mit einem hellen Geflecht bespannt.
Foto: LfA / smac, Annelie Blasko
Auf dem Bild sieht man den Stuhl von Walter Ulbricht. Er ist weiß-gelb mit einer braunen Sitzfläche. Der Stuhl ist in einem guten Zustand.
Foto: smac / LfA, L. Frenzel

Herkunft: Leipzig, Sachsen
Datierung: 1920er (?)
Leihgeber: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

Herkunft: Zwickau, Sachsen
Datierung: 1175–1300
Leihgeber: Landesamt für Archäologie Sachsen

Herkunft: Rabenau, Sachsen
Datierung: vor 1900
Leihgeber: Deutsches Stuhlbaumuseum Rabenau

9,2

Stunden pro Werktag sitzt der Deutsche im Jahr 2023. Damit stieg die jährliche Sitzdauer von 525 Minuten im Jahr 2021 auf 554 Minuten. Noch 2015 haben wir durchschnittlich rund 7,5 Stunden pro Tag gesessen. Laut Studie der DKV (Deutsche Krankenversicherung) sitzen die 18- bis 29-Jährigen mit mehr als 10 Stunden täglich am längsten. Doch langes Sitzen kann auch gesundheitsschädigend sein. So erhöht es das Risikon von Herzerkrankungen und Diabetes. Wie viele Stunden Sitzen töglich noch gesund sind, lässt sich nur schwer einschätzen. Wichtig wäre aber, die Zeit möglichst zu verringern. Um das lange Sitzen auszugleichen, soll laut WHO ein Erwachsener 150 bis 300 Minuten „moderat-intensive“ Bewegung  - kreislaufanregend, aber nicht schweißtreibend  - pro Woche betreiben.

Auf dem Bild sieht man eine Vielzahl bunter Plastik-Stühle. Sie stehen in einer Reihe jeweils versetzt zueinander.
Foto: Roel Dierckens auf Unsplash

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